DIE WECHSELVOLLE GESCHICHTE DER DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINDE IN KRAKAU
Eine alte Tradition besagt, dass die ursprüngliche Begräbniskapelle zur Hl. Barbara (heute Barbarkirche) gleichzeitig mit der Marienkirche – der Hauptkirche Krakaus – gebaut wurde und zwar aus Steinen, die vom Bau der letzteren übrig geblieben waren. Schon im Jahre 1338 wird eine Kapelle auf dem Marienfriedhof erwähnt, die der Bürger Mikolaj Wierzynek gestiftet hat und die dann zwischen 1396 und 1402 auf Kosten der Königin Hedwig erweitert wurde.
Im 14. Jahrhundert wurde in der Marienkirche sowohl auf deutsch als auch auf polnisch gepredigt. Im Stadtrat dominierten damals deutsche Kaufleute, die nach der Wiedererrichtung der Kirche zwischen 1392 und 1397 nur mehr deutsche Predigten hören wollten und deshalb nach einer Gelegenheit suchten, die polnischen Predigten auszulagern, und zwar nach Sankt Barbara. Dies gelang aber erst 1415, als die Patronatsrechte an der Marienkirche vom Bischof auf den König übergingen. Seit dieser Zeit begann die polnischsprachige Bevölkerung für polnische Predigten in die Barbarakirche hinüber zu gehen.
Am Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die fremde Sprache in der Hauptkirche der Stadt besonders für den polnischen Adel ein Stein des Anstoßes. Der 1535/37 in Krakau tagende Sejm forderte den König auf, in dieser Sache zu intervenieren. Man argumentierte, dass die polnische Bevölkerung inzwischen bereits so angewachsen sei, dass in der Barbarakapelle kein Platz mehr sei. Auch die polnischen Mitglieder des Stadtrates plädierten für eine Rückverlagerung der polnischen Predigten in die Marienkirche. Nur einige deutschstämmige Stadträte wollten den Status quo beibehalten.
Schließlich ordnete König Sigismund I. 1537 an, dass die deutschen Predigten in die Kapelle zur Hl. Barbara und die polnischen in die Marienkirche zu verlegen sind. Im entsprechenden königlichen Dekret werden 30 Namen von Bischöfen, Senatoren und Höflingen erwähnt, woraus man auf die große Bedeutung dieser Entscheidung schließen kann. Die Nähe der beiden Kirchen zueinander machte es möglich, dass man die schön gesungene lateinische Messe in der Marienkirche mitfeiern und dann die polnische Predigt dort oder die deutsche in der Barbarakapelle hören konnte.
Im Jahre 1583 bekamen die Jesuiten die Barbarakirche übertragen und die deutschen Predigten wurden in die kleine Adalbertkirche auf dem Marktplatz verlegt. Der deutsche Prediger wohnte jedoch weiterhin bei der Barbarakirche. 1773 wurde der Jesuitenorden aufgehoben. Bald darauf wurde Polen geteilt. Krakau fiel dabei der österreichischen Monarchie zu. Nach der Wiederzulassung des Ordens (1814) kamen einige Jesuiten nach Krakau zurück.
Während der ganzen Zeit wurde in Krakau zumindest in einer Kirche deutsch gepredigt. Im 19. Jahrhundert geschah dies in der Annakirche, ab 1818 bei den Bernhardinern, ab 1834 in der Markuskirche und ab 1854 wieder in der Barbarakirche. 1868 wurde die deutsche Predigt von den Jesuitenpatres übernommen. Erst viel später, nämlich 1910, wurden die Jesuiten auch Besitzer dieser Kirche. Allerdings wurden im selben Jahr die deutschen Predigten wiederum verlegt, diesmal in die öffentlich zugängliche Kapelle der Schwestern von der Göttlichen Liebe.
Nach dem 2. Weltkrieg war an einen öffentlichen deutschsprachigen Gottesdienst zunächst nicht zu denken. Erst die Wende von 1989 brachte mit sich, dass das Bedürfnis nach Hl. Messen in deutscher Sprache (und auch in anderen Sprachen!) wieder deutlicher wurde.
Am 22. April 1997, wurde zum ersten Mal wieder eine Messe auf deutsch gefeiert – in Sankt Barbara. Dank einer Initiative österreichischer Diplomaten wurde die aus dem Mittelalter kommende Tradition wieder aufgenommen. Schon 1/4 Jahr später gab es die erste deutsch-polnische, ökumenische Trauung.
Ab 1997 fand in der Barbarakirche an Sonn- und Feiertagen um 19.00 Uhr Liturgiefeiern in deutscher Sprache statt, die in einer Zeit des zunehmenden internationalen Austauschs einen Kristallisationspunkt für die Gemeinde bildeten. Mit Dezember 2014 wurde der Zeitpunkt der Messen am Sonntag (Feiertage entfallen seitdem) auf 14.30 Uhr vorverlegt. Wie in allen Auslandsgemeinden herrscht auch in Krakau ein reges Kommen und Gehen. Studierende oder Personen, welche aus beruflichen Gründen vorübergehend hier tätig sind, engagieren sich, solange ihr Aufenthalt es zulässt, daher ist es ganz gut, dass es auch einige Einheimische gibt, die regelmäßig zum Gottesdienst kommen und verschiedene Dienste (Zelebrieren, Ministrieren, Vorlesen, Vorbeten, Orgelspielen, etc.) übernehmen.
Musik hat einen großen Stellenwert in der Gestaltung der deutschsprachigen Messe, daher bilden die Konzertgottesdienste der Kantorei St. Barbara, oft im Zusammenspiel mit Gastmusikern aus dem In- und Ausland besonders feierliche Ereignisse im Kirchenjahr, die sich auch viele einheimische KrakauerInnen nicht entgehen lassen. Bei solchen Anlässen wird die Messe zweisprachig gehalten.
Nicht weniger Bedeutung genießen im Gottesdienst religiöse Inhalte in den Meisterwerken der Malerei, welche als Bildbetrachtungen den Gläubigen in den Predigten zugänglich gemacht werden.
Die Krakauerinnen und Krakauer verstehen sich als Erben einer großartigen, wechselvollen Geschichte, von welcher die Marienkirche und die Barbarakirche ein beredtes Zeugnis geben. Wenn Lieder und Gebete in polnischen Gotteshäusern auch in deutscher Sprache erklingen, wenn Predigten zweisprachig gehalten werden, dann ist das Miteinander der benachbarten Kirchen und Sprachen ein Hoffnungszeichen für Einheit in sonstiger (auch sprachlicher) Verschiedenheit.
Józef Bremer SJ